Die letzte Woche habe ich in Gaujini verbracht, einem kleinen Bergdorf im District Nuwakot, 30 Kilometer von Kathmandu aus in den Bergen um das Tal. Dort hatten Bonnie und ich den Auftrag, beim Farmingprojekt von Karmalaya nach dem Rechten zu sehen und das Kinderheim, das Gabi dort gegründet hat, ins Laufen zu bringen.
Über unsere Arbeit dort will ich jetzt garnicht so viel erzählen, nur dass wir bei Null anfangen mussten. Die beiden Geschwister Samir und Amir, die schon in Gaujini wohnen, bleiben erstmal noch auf der Farm und können noch nicht ins Heim ziehen, da an dem Haus noch sehr viel mehr zu tun ist, wie usprünglich gedacht. So haben wir die ersten zwei Tage erstmal mit Putzen verbracht, in einem halbdunklen dreistöckigen Lehmgebäude, mit 60 Zentimeter langen, stiellosen Besen aus Stroh. Renovieren in Nepal hat nicht im Entferntesten etwas mit Renovieren in Deutschland zu tun. Aber lieber Papa – du hättest berufsbedingt deine Freude in diesem Haus! Opa – du in seinem Vorgarten, in dem ich so lange Unkraut gerupft hab, bis die Sehnen meiner Unterarme es mir gedankt haben.
Das Kinderheim ist ein völlig neues Projekt und soll auch möglichst unabhängig und als Non-Profit-Organisation laufen. Samir und Amir, die beiden Jungs im Alter von 12 und 9, sind bisher die einzigen Kinder dort. Sie kommen ursprünglich aus dem Everest-Gebiet, sind aber nach dem Selbstmord des Vaters mit ihrer Mutter nach Kathmandu gezogen, wo diese einen neuen Mann kennengelernt, ihre Kinder vernachlässigt und sich schließlich ebenfalls selbst getötet hab, wohl sogar versucht hat, die Kinder mitzureißen. Mit dieser Geschichte im Hinterkopf hat es mich umso mehr bewegt, dabei zuzusehen, wie unbeschwert die beiden sich eingewöhnt haben und wie ausgelassen sie mit dem Kindern aus dem Dorf spielen. Nur der Ältere, Samir, scheint noch mehr Erinnerungen zu haben und trägt öfter ein ernstes Gesicht als sein wilder kleiner Bruder.
Die Farm und das Dorf sind eine Ausgeburt an Abgeschiedenheit. Schon daran erkennbar, wie abenteuerlich die Fahrt dorthin war. Für die knapp 30 Kilometer haben wir einige Stunden gebraucht, nicht gerade die angenehmsten meines Lebens. Da wir zwei große Truhen voller Material transportieren mussten, hatten wir einen privaten „Jeep“ gemieten, der sich als Kleinlaster herausgestellt hat. Und kaum waren wir im Shivapuri Nationalpark, sind wir rechts abgebogen und die nächsten Stunden auf einer Geröllpiste voller Schlammpfützen und Schlaglöcher und Sandhaufen sondergleichen gefahren, links von mir und manchmal für meine Nerven etwas zu nah der Abgrund. Irgendwann konnte ich mich auch nicht mehr auf das Himalaya-Panorama konzentrieren, auf das man ab und zu durch das grüne Dickicht des Dschungels einen Blick erhaschen konnte, sondern musste mich anstrengen, mit dem mittleren Schädelhirntrauma durch das Auf und Ab klarzukommen. Ganz zu schweigen von den unzähligen Malen, die mein Kopf an den Fensterrahmen neben mir geballert ist. Auch mein restlicher Körper hat der Schwerkraft tapfer getrotzt und ist des öfteren vom Sitz hoch gehüpft. Mein Gott, war ich froh, als wir endlich da waren.
Das Dorf erstreckt sich über den halben Hügel, wir mussten wieder 10 Minuten den Hang hinabkraxeln, an Feldern und Ziegenställen vorbei und durch andere Innenhöfe bis zu dem Lehmhaus, in dem die Volunteers der Farm und eben momentan auch die zwei Kids mit den Koordinatoren wohnen.
Abends durften wir immer in der Küche helfen und nun kann ich WIRKLICH nepalesisch kochen. Das Highlight waren die Samosas gestern. Da sitzt man in einer halbdunklen nepalesischen Lehmküche auf Strohmatten und füllt kleine Teigtaschen, die man anschließend auf dem Feuer frittiert, dazu mörsert man ein scharfes Tomatenpickle, kocht noch Curry für den Reis. Und weiß, da draußen ist nichts als Idylle, nichts als Ruhe, nur 30 Kilometer weg vom Staub einer Millionenstadt. So weit das Auge reicht ein Hügel nach dem anderen, überall Terassenfelder, einfache Menschen, wundervolle Menschen.
Und der Sternenhimmel. Abends hebt man einmal kurz den Kopf und blickt in den üppigsten, funkelndsten Sternenhimmel, vollkommen frei von künstlichen Lichtquellen weit und breit, auch keinerlei unnatürliche Geräusche. Nur das Knistern des Feuers und das Zirpen der Grillen und das Echo der Vögel, das von den stockdunklen Bergen widerhallt, deren kleine verstreute Lichter nahtlos in den Sternenhimmel übergehen. Diese Atmosphäre lässt sich nicht in einem kleinen Blogartikel einfangen, egal wie sehr ich es versuche.
Und gestern Morgen wartete dann eine weitere einmalige Gelegenheit auf uns: im Dorf (25 Minuten Fußmarsch durch die Felder und Siedlungen – wie gesagt, der halbe Hügel) wurde geheiratet. Hochzeit in Nuwakot, so heißt doch auch dieses Lied… jedenfalls wohnte das ganze Dorf der Zeremonie bei, und so durften auch wir europäischen Volunteers bei einer nepalesischen Hochzeit zuschauen (manchmal hatten wir den Eindruck, wir wären die größere Attraktion). Über dem Brautpaar steht ein mit Blumen geschmückter Baldachin, auf dem Boden liegen etliche Opfergaben (zum Beispiel Selroti, diese leckeren frittierten Teigkringel), nebenan spielt eine kleine Musikkapelle auf abgefahrenen Instrumenten tolle Liedchen, die klingen, wie trötende Elefanten. Nur das Brautpaar sieht leider nicht so glücklich aus, vor allem die Braut hebt die ganze Zeremonie über den Blick nicht vom Boden. Gerade auf dem Dorf hat die Frau wohl wenig Mitspracherecht, allgemein werden die meisten Ehen in Nepal arrangiert. Da geht dann eben mal der Mann mit seiner Mutter auf Brautschau. Man darf schon mit aussuchen, aber wirkliche Liebesheiraten gibt es wohl eher selten. Allerdings stecke ich da ja auch nicht drin, woher soll ich das also wissen?
Gestern Nachmittag sind Bonnie und ich dann nochmal mit Alex und Pat (insgesamt sind im Farmingprojekt gerade 3 Jungs) Felder runtergehüpft und gekraxelt und in einer kleinen Lagune rausgekommen, in der man sich sofort wie im Dschungel fühlte. Der Fluss rauscht nebenan vorbei, und über uns sind Wasserfälle. Große braune Schmetterlinge fliegen vorbei, während das Wasser und die Steine vom Licht der Sonne glitzern, die durch die grünen Blätter fällt. Egal um welche Ecke man in Nepal geht – man weiß nie, wie es dort aussieht. Der Wahnsinn!
Nach einer spannenden, idyllischen, gleichzeitig ob der langsamen Fortschritte im Waisenhausprojekt und der bistarai-Arbeitsmoral gefühls- und gedankenmäßig wechselhaften Woche ging es dann heute mit dem Bus wieder zurück nach Kathmandu. Liebe besorgte Familie, seid froh, dass ihr das erst jetzt lest, wo ich schon wieder heil auf der Terasse des Volunteerhauses sitze, auf der ich mich nur schwer verletzen kann. Der Bus war vollgestopft mit Menschen, Reissäcken und einer Ziege, wir sind fröhlich am Abgrund entlang gewackelt, mussten ständig anhalten und den Weg umgraben, damit wir nicht steckenblieben. Aber erstaunlicherweise war die Fahrt viel angenehmer und „balancierter“ als der Hinweg, wahrscheinlich weil das schiere Gewicht der ganzen Lebewesen im Bus und auf dessen Dach uns vom Hüpfen abgehalten hat. Wir haben dann auch mal schön fünfeinhalb Stunden für den Weg gebraucht und wurden dann von Arun mit dem Motorbike abgeholt. Drei Leute, 2 Rucksäcke, 2 Schlafsäcke, 2 Taschen, eine Tüte mit Dokumentationskram vom Waisenhaus und eine Tüte mit Honig frisch aus Gaujini für Ama auf einem Motorbike, ab durch Basundhara. Oh, wie schön ist Nepal!!!!
Tja, und schon bin ich wieder in Kathmandu, unserem Basislager, wie die liebe Edda immer zu sagen pflegte. Und dies war erstmal meine letzte Rückkehr in dieses Basislager, denn in ein paar Tagen fliege ich wieder um den halben Planeten. Lasst mich damit erstmal klarkommen.
Oh, und bitte unten weiterlesen, da ist noch ein zweiter neuer Artikel!